Das Haus

Synagoge und Kirche


Die evangelische Kirche

Seit September 1951 ist das Haus in der Hinzergasse 8 in Flieden eine evangelische Kirche. Für eine Kirche ist das sehr jung, sind doch die meisten Kirchen mehrere Jahrhunderte alt.

Aber auch diese junge Kirche birgt eine Menge Ortsgeschichte in sich. Diese Kirche mag jung sein, aber gerade deshalb gibt es noch die Menschen, die davon erzählen können, wie sie selbst die Kirche aufgebaut haben, wie sie angepackt haben. Wie Konfirmanden nach dem Unterricht noch Mauersteine gesäubert haben. Wie sich die ersten Jugendgruppen im Jugendraum unter der Kirche getroffen haben – teilweise kommen deren Enkel heute dort zusammen.

In seiner ganzen momentanen Ausstattung erzählt das Gebäude davon, wie die Evangelischen Flüchtlinge einen Ort für Gebet und Gemeinschaft gesucht haben. Menschen, die selbst wenig hatten, haben mit wenig Geld aber viel Engagement ihr eigenes Gotteshaus gebaut

Natürlich ist all das mittlerweile in die Jahre gekommen: Der schwarze Linoleumboden im Altarbereich ist schon recht zerschlissen, der Windfang am Eingang hat die besten Zeiten schon hinter sich und selbst der letzte Innenanstrich ist schon 28 Jahre alt. Es ist also an der Zeit, hier wieder einiges aufzufrischen.

 


 

Die ehemalige Synagoge

 

Aber dieses Haus erzählt noch mehr Ortsgeschichte: dieses Haus war auch 63 Jahre lang die Synagoge der jüdischen Gemeinde Flieden – eine Gemeinde, die Jahrhunderte lang zum Leben des Ortes dazu gehörte. In den 1930er Jahren brach diese Geschichte abrupt ab. Plötzlich galten die, mit denen man Jahrzehnte nachbarschaftlich zusammenlebte als ‚Untermenschen‘. Die jüdischen Mitbürger wurden aus Flieden vertrieben. Am 9. November 1938 wurde das Innere der Synagoge zerstört, alles Bewegliche auf dem Hof davor verbrannt und die Fenster zerschlagen.

Nach der NS-Zeit war es schwer, sich an dieses Stück der Ortsgeschichte zurückzuerinnern, hatte doch jede Erinnerung mit der Frage nach eigener Schuld zu tun. So zeigt auch der Wiederaufbau des Gebäudes als evangelische Kirche keine Spuren einer Synagoge.

 

Nun scheint die Zeit reif, die Geschichte der jüdischen Mitbürger wieder lebendig werden zu lassen. So war es ein ermutigendes Zeichen, dass der 75jährige Gedenktag der Reichspogromnacht im vergangenen November mit solch großer Anteilnahme der Bevölkerung gefeiert wurde. Ein weiterer glücklicher Zufall ruft uns die Zeit der Synagoge wieder in Erinnerung: Erst letztes Jahr sind zwei Bilder aus den 1920er Jahren aufgetaucht, die zeigen, wie die Synagoge ausgesehen hat. Eine Besuchergruppe aus den USA  war im letzten Frühjahr in der Kirche. Eine ältere Dame aus Cambridge (Massachusetts) reiste auf den Spuren ihres Vaters durch Deutschland. Und dieser hatte  1899 hier in Flieden seine Bar Mizwa (das jüdische Ritual des Erwachsenwerdens) gefeiert. Die Dame hatte  aus dem Nachlass ihres Vaters zwei Fotografien der Synagoge mit dabei. Dies sind tatsächlich die ersten Bilder, die in Flieden seit über 70 Jahren existieren.